Odessa Juli 2024 – der Alltag

Odessa, in den Katakomben. Die haben nichts mit dem Krieg zu tun. Es gab aber auch angenehmere Momente:

Dieser Beitrag ist eher eine Fotostrecke zum Durchscrollen mit einigen Erläuterungen. Der Alltag geht weiter. Da ist nichts Tristes. Über allem schwebt die Angst vor der nächsten Drohne, der nächsten Rakete. Es gibt keine Bunker. Odessa war ja für den Frieden gebaut. In den Keller gehen? Vielleicht, aber wenn das Haus direkt getroffen wird, ist das nicht gut.

Ich hatte die Informationstafel am Hauptbahnhof von Odessa fotografiert und gleich auf X gepostet, dass die Züge in der Ukraine pünktlich sind. Jetzt ist mir aufgefallen, dass nach Simferopol auf der Krim gar keine Züge fahren. In die anderen grünen Städte hier natürlich auch nicht. Da sind jetzt vorübergehend die Russen. Die Infotafel ist ein Statement: Das ist unser Land! Die ukrainische Eisenbahn Ukrsalisnyzja wird wieder dorthin hinfahren – und zwar pünktlich! Und als ich sicherheitshalber eine Bekannte frage, ob ich das mit dem Grün richtig verstanden habe? „Ja definitiv!“

Sechs Uhr morgens am Schwarzen Meer.

Das beste Licht zum Fotografieren. Der Strand ist schon ziemlich voll.

Auch professionelle Fotografen sind da.

Die Damen im Torbogen zum Beispiel ist eine erfolgreiche Torten-Bloggerin – mit vier Kindern.

 

Einkaufen

 

In der riesigen Markthalle kommt nichts aus einem Großmarkt. Das sind Produkte aus dem Umland.

Die Aprikosen zergehen auf der Zunge. Paprika schmeckt nach Paprika, nicht nach Gewächshaus.

Ja, es gibt in Berlin noch Metzger, aber doch sehr wenige. Hier läuft einem das Wasser im Mund zusammen.

Obst und Gemüse abwiegen im Supermarkt: wie bei uns. Zahlen mit dem Smartphone oder mit Karte.

Woanders: Soldaten kleiden sich selbst ein. Je näher man an die Front kommt, desto mehr solche Geschäfte gibt es.

Architektur

 

Die neuen Häuser haben Gesichter, sind ausdrucksvoll. Lochfassaden wie in Berlin habe ich (zum Glück) nicht gesehen. Wahrscheinlich tragen in Odessa auch nicht alle Architekten einheitlich schwarz.

 

Auf dem Land

 

400 Tote im Zweiten Weltkrieg in einer Gemeinde von damals etwa 4000 Menschen.

Südlich von Odessa, Richtung Hafen Ismajil

Weinfabrik Shabo, Wine Cultural Center, also deutlich mehr als ein Weingut.

 

Die Katakomben von Odessa

 

Die Katakomben liegen etwas außerhalb. Hier sieht man den Zweck: Es wurde preiswertes Baumaterial abgebaut, Muschelkalk. Das Tunnelsystem ist 2500 Kilometer lang (kein Tippfehler).

Hier erkennt man die Ablagerungsschichten des Muschelkalks ganz gut.

Zwei Stunden gebückt: Oh Mann!

 

Alarm

 

So sahen meine Nächte aus. Keine Nacht ohne Alarm. Leicht auf der App zu erkennen: Alarm, Entwarnung. Es gab mehr als zehn Tage und Nächte Raketenangriffen auf Odessa.

Das ist die mehr allgemeine Warnung. Als dritte, genauere Warnstufe gibt es noch das „Monitoring“ oder „War Monitoring“ auf Telegram, mit genauen Angaben, welche Rakete von wo in welche Richtung fliegt.

Die Lampe lädt sich auf, wenn Strom da ist. Sie hat einen Bewegungsmelder.

Vor den Geschäften stehen die Generatoren.

Im Klamottenladen arbeiten bedeutet auch, regelmäßig Benzin nachfüllen.

Auf meinem Smartphone erscheint diese Werbung.

Die App, wann Strom kommt. Moschlewo: „vielleicht, könnte sein“.

 

Die Oper

Im Oktober letzten Jahres war ich nur zweimal in der Oper in Odessa und auf dieser Reise zuvor einen Abend in der Oper in Iași in Rumänien. Bei diesem Besuch habe ich vier Vorstellungen gesehen. Danach war leider Sommerpause. Das Opernhaus wurde von dem Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer entworfen. Die hatten fast ein Monopol in Europa. Sie haben 48 Theater und Opernhäuser entworfen. Eröffnet wurde das Opernhaus 1887. Städtebaulich stellt es die Stadtkrone von Odessa dar. Nach Odessa zu kommen und sich nicht vor diesem Wahrzeichen der Stadt zu fotografieren, geht gar nicht 🙂

Der Bajazzo. Die Vorstellung begann mit einer halben Stunde Verspätung – Fliegeralarm. Man konnte wählen: Park oder Bunker. Diesmal Park.

In Odessa steht das Werk im Mittelpunkt, nicht einzelne Sänger, nicht der Dirigent. Niemand spielt sich auf. Es ist wirklich ein Ensemble. Diese Oper begeistert mich.

Am nächsten Tag. Ich habe etwa hundert Fotos gemacht, wie Selfies gemacht werden. Die Oper ist wie dafür geschaffen. Sie adelt die jungen Frauen.

Das Ballett Giselle. Plötzlich senkt sich der Vorhang. Alarm. Ab in den Bunker.

 

Im Dunkel des Bunkers beginnen Sängerinnen, die Nationalhymne zu singen, der Kampfruf der UkrainerInnen. Ich bin überwältigt.

Diese Künstlerinnen und ein Künstler begannen im Bunker spontan, ohne Auftrag, das ebenso kämpferische wie unterhaltsame Musikprogramm.

Und nach einer Stunde im Bunker: Eine lange Schlange vor der Damentoilette.

Am nächsten Tag: Don Pasquale.

Don Pasquale.

Aida – die krönende, letzte Vorstellung der Saison. Ich bin begeistert! Aida kenne ich nahezu auswendig. Ich habe in der Oper im Staatstheater Kassel mitgewirkt.

Warum so viel Kultur dringen notwendig ist, erläutert das Buchungsportal concert.ua: „Kümmere dich um dich selbst, um dich um andere zu kümmern. Halten Sie durch und tanken Sie rechtzeitig neue Kraft, um die Kraft zu haben, das Land, die Verteidigungskräfte und einander zu unterstützen. Kulturelle Veranstaltungen helfen dabei sehr. Wir haben für Sie die interessantesten Neuheiten in Odessa zusammengestellt, also wählen und planen Sie Ihre Freizeit, um Ihre geistige Gesundheit wiederherzustellen. Mit den besten Wünschen für Victory, das Concert.ua-Team.“ concert.ua hat nach der Bombardierung des Kinderkrankenhauses in Kyiv sofort einen erheblichen Betrag gespendet und zum Spenden aufgerufen.

 

Draußen und am Abend

 

Das Restaurant wird mit Generator betrieben.

Video 1:30. Über den Dächern von Odessa, vom Hafen bis zu den Bergen. Aufgenommen vom Dachrestaurant „Wolke“, Oblaka.

 

 

Straßenmusiker. Das ist keine Band. Immer wieder kommen junge Frauen und singen. Das habe ich schon früher hier erlebt. Die beiden am Schlagzeug und der Gitarre scheinen alles zu können – oder sie improvisieren gelegentlich.

Hätte man wahrscheinlich nicht so erwartet: eine BDSM- Bar

Mit dem Bus nach Hause

 

Umsteigen in Lwiw. Vom Busbahnhof kommen Busse aus allen Städten der Ukraine und fahren in quasi alle größeren Stadt Deutschlands, aber auch nach Italien, Frankreich, in die Niederland. Die meisten kann man über das Portal von Flixbus buchen, viele auch über www.infobus.eu

 

Vor der Abfahrt: Sammlung für die Streitkräfte.

Eigentlich 27 Stunden, aber wegen der langen Wartezeit an der Grenze zu Polen (also in den Schengen-Raum) dauert es 33 Stunden. Man braucht ein langes Hörbuch, z.B. eine Biografie über Elon Musk.

Die Reise war eher von Frauen geprägt

Eine kleine Hürde: am Bus stand ein anderes Ziel. Das fördert Kreativität und Kommunikation.

Zurück im Bunker mit den beiden Büchern über den Holocaust in der Ukraine von Tatjana, der Chefin des privaten Holocaust-Museums in Odessa.

Und zu Hause mit dem traumhaften Honig aus Sonnenblumenblüten.